“Zoom-Fatigue”: Wenn Videokonferenzen zur Belastung werden

Die Corona-Pandemie wirkte sich stark auf die Digitalisierung der Unternehmen aus und mit dem Home-Office ist auch die Zahl der Videokonferenzen enorm gestiegen. Einerseits hat das zu mehr Flexibilität geführt: Man kann Termine überall wahrnehmen. Andererseits können andauernde Videokonferenzen zu psychischen und physischen Belastungen führen. „Zoom-Fatigue“ nennen das die Experten. Worum geht es genau und was kann man dagegen machen?

Der Terminkalender ist voll. Ein Außentermin folgt auf den nächsten, die leeren Felder dazwischen dienen meist zur Hin- und Rückfahrt ins Büro, wie auch eine Mittagspause. Marie Wittmann ist 28, Key-Account-Managerin bei einem großen deutschen Medienunternehmen mit Sitz in Berlin. Bis ins Frühjahr 2020 sah ihr beruflicher Alltag so aus. Die Corona-Pandemie stellte aber auch ihren Arbeitsrhythmus auf den Kopf. „Jetzt finden die Kundentermine meistens online statt und ich arbeite hauptsächlich von zu Hause aus”, sagt sie. Klingt entspannt, möchte man meinen. “Ich bin irgendwie müder als früher. Mir fehlt die frische Luft, der persönliche Austausch mit den Kunden und Kollegen“, erwidert Wittmann. Die nahezu ununterbrochene Präsenz vor dem Bildschirm in den eigenen vier Wänden bereitet ihr seit einiger Zeit Probleme. „Neben der mentalen Erschöpfung, fühle ich mich irgendwie weniger fit und meine Arbeit ist viel monotoner als früher“.

Wittmann ist nicht allein. Viele Arbeitnehmer, die mit Videokonferenzen arbeiten, kämpfen mit einer erschöpften Grundstimmung. Experten sagen „Zoom-Fatigue“ dazu und beziehen sich auf einen der weltweit größten Anbieter von Videokonferenzen. Konzentrationsschwäche, Ungeduld und eine fehlende Balance sind nur einige der Symptome, die man dabei entwickelt. Wissenschaftler der amerikanischen Universität Stanford und der Universität in Göteborg haben sich gemeinsam mit dem Ludwigshafener Institut für Beschäftigung und Employability auf die Spur des neuen Phänomens begeben und eine Studie durchgeführt. Im Rahmen dessen wurden mehr als 10.000 Menschen — darunter Personalmanager, Betriebs- und Personalräte, aber auch Geschäftsführer und Führungskräfte — nach ihren Erfahrungen mit Videokonferenzen und dessen Folgen auf die eigene Gesundheit befragt.

Was sind die Symptome von „Zoom-Fatigue“?

Die Studie ergab, dass Betroffene insbesondere folgende Symptome haben:

  • Konzentrationsschwäche
  • Ungeduld
  • Gesteigerte Nervosität
  • Fehlende Balance
  • Erhöhte Reizbarkeit
  • Kopfschmerzen
  • Rückenschmerzen
  • Sehschwäche

Zunächst sind insbesondere psychische Beeinträchtigungen erkennbar, die jedoch als Warnsignal verstanden werden sollten. Denn auch „Zoom-Fatigue“ kann, wenn nicht rechtzeitig gehandelt wird, zu Burnout, Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Die Symptome entstehen meist durch Bewegungsmangel, aber auch der vermehrten Konzentration auf sich selbst. „Im Home-Office fehlt der persönliche Austausch mit anderen Menschen, alles ist virtuell geworden”, sagt Arbeitspsychologin Michelle Müller. „Manche kommen damit nicht klar”. Zudem entsteht eine eingeschränkte Beweglichkeit, da man die ganze Zeit in die Kamera und den Bildschirm schauen muss. „In Videokonferenzen hat man einerseits das Gefühl, immer beobachtet zu werden und auch beobachten zu müssen. Bei der non-verbalen Sprache muss man sich mehr anstrengen. Das Gegenüber kann die Körpersprache nicht so gut erkennen und das wirkt sich natürlich auch auf die Wahrnehmung der Gesprächssituation aus.“ Das kann Stress auslösen, was sich wiederum auf die Psyche auswirkt. „Die Hand hebt man heutzutage auch nicht mehr physisch, sondern mit einem Klick”, sagt Müller.

Es wird mehr abverlangt

Ein Aspekt, der in der Studie untersucht wurde, sind auch die organisatorischen Rahmenbedingungen. Dadurch, dass vieles online stattfindet und man von zu Hause arbeitet, wird weniger Rücksicht auf Pausen genommen. Viele Betroffene haben zwischen den Terminen keine Pause und müssen anhand eines straff getakteten Zeitplans ihre Aufgaben erledigen. Dabei sitzen sie oft die ganze Zeit hinter dem Schreibtisch. „Abstände zwischen den Terminen sind jedoch wichtig, damit man abschalten, sich ein wenig bewegen und auf die neue Besprechung vorbereiten kann”, so Müller.

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Kein Small Talk, kein Netzwerken

“Vor Corona konnte ich mit meinen Kollegen im Flur oder in der Kantine sprechen, mit ihnen spontan einen Kaffee trinken”, sagt Marie Wittmann. “Heute muss man sich Wochen im Voraus verabreden, damit wir auch alle zur gleichen Zeit im Büro sind”. Flexibilität sieht in diesem Fall anders aus. Keine Möglichkeit für ungeplante und informelle Besprechungen zu haben oder sich abseits von Terminen mit anderen austauschen zu können, sind einige der am meisten genannten Belastungen in der Studie. “ Dies kann zu einem Gefühl der Isoliertheit führen”, meint Müller. Deshalb empfiehlt er Betroffenen mit Kollegen auch unterhaltsame Videokonferenzen zu führen oder gemeinsam eine virtuelle Pause zu machen, in der man miteinander spricht oder gemeinsam isst. “Das kann für Abwechslung sorgen, ersetzt aber natürlich nicht den physischen Kontakt.”

In Zukunft wird das neue Arbeiten zunehmen und somit auch die Anzahl der Videokonferenzen. Dies wird sich auch auf den Arbeitsschutz auswirken, da “Zoom-Fatigue” nicht von der Bildfläche verschwinden wird. Frau Wittmann hat inzwischen entschieden, ihre Müdigkeit ernst zu nehmen und gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber Maßnahmen zu setzen, damit es zu keiner Verschlimmerung kommt. Sollten Sie sich betroffen fühlen, dann empfiehlt sich ein schnelles Handeln. Scheuen Sie sich nicht das Thema mit Ihrem Vorgesetzten, Betriebsarzt oder Arbeitspsychologen zu besprechen.

5 Tipps gegen „Zoom-Fatigue“

  1. Videokonferenzen reduzieren: Muss man wirklich an jedem Termin teilnehmen? Man kann den Teilnehmerkreis auch auf ein Minimum reduzieren und somit auch die Belastung für andere. Ein Protokoll kann anderen helfen zu erfahren, was besprochen wurde.
  2. Meetings kurz halten: Stundelange Meetings können sehr erschöpfen. Daher sollte man eher kürzere Termine planen und die Teilnehmenden nicht überfordern. Falls es viel Gesprächsbedarf gibt, kann man mehrere kleinere Termine an unterschiedlichen Tagen durchführen.
  3. Pausen machen: Die Termine sollten so getaktet sein, dass man dazwischen durchatmen kann. Nach spätestens einer Stunde sollte eine Pause von 5 bis 10 Minuten gemacht werden. In dieser kann man die Augen entspannen, sich etwas bewegen oder Rückenübungen machen.
  4. Kamera ausschalten: Nicht immer muss man in einem Termin den anderen sehen. Schlagen Sie deshalb das nächste Mal vor auf die Kamera zu verzichten.
  5. Führen Sie virtuelle Small Talks: Nutzen Sie etwas Zeit vor oder nach dem Termin für eine kleine Unterhaltung mit Ihren Kollegen, die nicht unbedingt mit der Arbeit zu tun hat.

Quelle

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Michelle Müller
Leitende Arbeitspsychologin
Michelle Müller, Leitende Arbeitspsychologin

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